Franchise-Perle OBI vergoldet die Bilanz von Tengelmann

Obi-Sanierer Karl-Erivan Haub

Franchise-History

Die Tragik um das rätselhafte Verschwinden von Tengelmann-Chef Karl-Erivan Haub in den Schweizer Alpen am 7. April 2018 wirft auch ein Licht auf die bislang wohl wertvollste Akquisition in der langen Firmengeschichte: OBI. Der Branchenprimus unter den Baumärkten und steuert ein Fünftel zum 30-Milliarden-Euro-Umsatz von Tengelmann bei und fand dort sein Happyend nach einem jähen Knick in der Franchise-Erfolgsstory.

Handel ist Wandel und keiner macht es so gekonnt wie Tengelmann. Groß geworden im Lebensmitteleinzelhandel, der sicherlich härtesten Branche im deutschen Handel, verabschiedete sich Tengelmann mit dem Verkauf der „Kaisers-Tengelmann- Supermärkte“ im letzten Jahr endgültig von seinen unternehmerischen Wurzeln, die in 150 Jahren reichlich Ernten bescherten. Im Jubiläumsjahr 2017 resümierte Karl-Erivan W. Haub: „1867 legten unser Ururgroßvater Wilhelm Schmitz-Scholl und seine Frau Louise den Grundstein für unser heutiges Familienunternehmen. Aus dem Mülheimer Kolonialwarenhandel von einst ist ein in 20 Ländern agierendes Großunternehmen geworden.“ Das Erreichte war für den Vorstandschef des Familienunternehmens aber zugleich auch die Herausforderung für neue Taten: „Schließlich muss die Zukunft jeden Tag aufs Neue erarbeitet werden!“

73 Unternehmen unter einem Dach

Modern strukturiert und international ausgerichtet zählt die Unternehmensgruppe Tengelmann zu den weltweit bedeutendsten Handelsunternehmen. Heute gehören zur Unternehmensgruppe Tengelmann 73 Beteiligungen, die einen Umsatz von circa 30 Milliarden Euro erwirtschaften und mehr als 215.000 Mitarbeiter beschäftigen. Zum Konglomerat von Unternehmen gehören die Bau- und Heimwerkermärkte von OBI-Franchise, der Textil- und Nonfood-Discounter KiK, die Tengelmann E-Commerce GmbH, Emil Capital Partners sowie die Trei Real Estate GmbH. Darüber hinaus ist das Unternehmen an Netto Marken-Discount und am 1-Euro-Discounter TEDi beteiligt. Verschiedene kleinere Produktionsbetriebe und Dienstleistungsgesellschaften runden das Portfolio ab.

Weg von der Fläche, rein ins Netz

Die Zentrale der Holding befindet sich in Mülheim an der Ruhr, wo das traditionsreiche Familienunternehmen einst gegründet wurde. Für die operative Führung der Unternehmensgruppe standen in fünfter Generation Karl-Erivan W. Haub und sein jüngerer Bruder Christian W. E. Haub als geschäftsführende und persönlich haftende Gesellschafter seit der Jahrtausend-Wende in der Verantwortung. Wobei der Ex-Kinsey Consultant im brüderlichen Führungs-Duo als der strategische Kopf galt, der vor allem den Wechsel vom Laden- zum Netz-Geschäft favorisierte, und im großen Stil in Start-ups wie Zalando oder Delivery Hero investierte. Über den Online-Handel hinaus engagierte sich Haub aber auch bei Newcomern, die etwa die Finanzbranche neu aufmischen möchten.

Karl-Erivan Haub entwickelte vielfältige Aktivitäten jenseits des Kerngeschäftes mit Lebensmitteln, um das übernommene Unternehmen „ quasi neu zu erfinden“. Der wichtigste Schritt des unter seiner Ägide eingeleiteten Transformationsprozess war der Abschied von den Supermärkten, die einst die Basis für das heutige Firmen-Geflecht bildeten. Im Handel blieb das Traditionsunternehmen weiterhin verankert. Zu den wertvollsten Beteiligungen zählt OBI. Mit seinen 651 Baumärkten auf Franchise-Basis – davon 350 Standorte in Deutschland – bei einem Umsatz von über sechs Milliarden Euro ist OBI Branchenprimus und ein Schwergewicht im zunehmend diversifizierten Firmen-Verbund von Tengelmann.Nach dem Verschwinden des bisherigen Tengelmann-Chefs KarlErivan Haub soll nun sein Bruder Christian Haub die Geschäfte bei Tengelmann leiten.

Das Streben in neue Märkte und Branchen kennzeichnet den Erfolgspfad von Tengelmann. Das im Rückblick entscheidende Jahr in der jüngeren Firmengeschichte war 1985. Damals leitete Erivan Haub, der Vater des Verschollenen, der noch mit 80 Jahren bis zum Jahr 2013 täglich sein Büro betrat, den Beginn einer strategischen Diversifikation ein durch die Mehrheitsbeteiligung an den OBI Bau- und Heimwerkermärkten im Sitz in Wermelskirchen. Mit dem Zukauf erwies der Gründer Urenkel sein Gespür für die aktuellen Trends im Handel. Die Do-it-yourself-Welle schwappte durch das Land und auf ihr surften die neu entstandenen Baumärkte mit. Vorneweg: OBI

Start in Hamburg im Einkaufszentrum

Gegründet wurde OBI 1970 von einem Trio: Emil Lux, Manfred Maus und Klaus Birker. Der Startschuss fiel mit der Eröffnung des ersten Obi-Marktes im Einkaufszentrum Alstertal in Hamburg-Poppenbüttel, eine Immobilie des Versandhausgiganten OTTO. Ein Pilot im fernen Norden weit vom Stammsitz der Firma Lux entfernt, um bei einen etwaigen Flop den Imageschaden zu bannen. Manfred Maus, der Macher hinter der neuen Marke, trat 1958 in die Firma Lux seines späteren Partners Emil Lux ein. Zuvor absolvierte er die Ausbildung zum Eisenwarenhändler und studierte daraufhin in Wuppertal Betriebswirtschaft. Die Blaupause für das führende Franchise-System Baumarktbranche lieferten Maus die amerikanischen Mega-Märkte, welche Jahrzehnte später ebenso andere Entrepreneure wie etwa Torsten Toeller zu seiner Geschäftsidee Fressnapf inspirierten. Manfred Maus hatte sie ebenfalls in den USA bei einer Studienreise mit Eisenwarenhändlern entdeckt. Mit eben 35 Lenze setzte Manfred Maus – von vielen im Hause „Manni“ genannt“ – in der Hansestadt den Sockel für sein Lebenswerk. Der in Gottmadingen am Bodensee geborene Schwabe sollte den Markt revolutionieren und eine neue Branche schaffen: Baumärkte. Heute mit 83 Jahren, mehrfach für seine unternehmerische Leistung ausgezeichnet, nunmehr Professor und Ehrenpräsident des Deutschen Franchise Verbandes (DFV), fühlt er sich emotional immer noch an „sein Baby“ OBI gebunden.

Schwarzes Loch in der Kasse

Doch über ein Ereignis herrscht Schweigen. Die Erfolgssträhne von OBI riss jäh 15 Jahre nach dem Start in der Hansestadt. Ein Zeitzeuge erinnert sich an dramatische Tage im Sommer 1985: „Bei einer Inventur-Differenz von acht Prozent standen über Nacht in der Zentrale die Räder still.“ Das Betriebsergebnis mit einem dicken Minus wies nur eine Option: frisches Geld muss her, am besten ein Teilverkauf. In dieser Stunde der Not griff Tengelmann-Chef Erivan Haub mit beiden Händen zu. 1985 übernahm Tengelmann die Mehrheit an OBI. Schon am nächsten Tag rückten die Revisoren aus der Tengelmann-Zentrale bei OBI in Wermelskirchen an und durchforsteten die verhagelte Bilanz des kurzzeitig wankenden Baumarktriesen. Ihre prompt verkündete Therapie kam einer Rosskur gleich: der blaue Brief für rund 1.200 Kassiererinnen und Kassierer. Fortan bestimmten die „Tengelmänner“ die Richtung und installierten ein schonungsloses Controlling. Die Wende folgte prompt. Das Zahlenwerk färbte sich allmählich wieder in die bevorzugte schwarze Farbe. Die Beteiligung wurde im Jahr 2007 durch Kauf der Anteile der Gründerfamilie Lux von 63 auf 74 Prozent erhöht.

Gedanken kreisen weiter um OBI

Nunmehr im Ruhestand blieb Manfred Maus seiner Maxime verpflichtet: “Ora et labora” (“Bete und arbeite”). Getreu dem Benediktiner-Motto schöpft der bekennende Christ die Kraft für sein Tageswerk aus dem Gebet. Der Tag agilen Seniors, der seit 2004 keine Funktion mehr in der Baumarktkette ausübt, beginnt immer noch um 6 Uhr. Dann macht sich der Frühaufsteher so seine Gedanken, die sich mitunter um OBI drehen: „Das stationäre Geschäft wird nicht verschwinden sondern anders existieren. Mehr in Richtung Showroom, der Lösungen und noch konkreter als bisher den Nutzen eines Produkts zeigt”, vertraute Maus jüngst einem Journalisten von der Rheinischen Post an und gab gleich ein Beispiel: “Höhenverstellbare WC-Sitze sind in einer älter werdenden Gesellschaft ein interessantes Produkt. Das muss im Baumarkt mit einem Muster-Aufbau präsentiert sein.”

Ergo: Der OBI-Mann denkt weiter in OBI-Kategorien, während sich Christian Haub bei Tengelmann nun ohne seinen kongenialen Bruder intensiv um die Pflege des Familienerbes kümmert, – „Schließlich muss die Zukunft jeden Tag aufs Neue erarbeitet werden!“ – das Bonmot, das auch ihm sein vermisster Bruder mit auf den Weg gab. Keine Kopfschmerzen dürfte ihm indessen die Franchise-Perle OBI bereiten. Längst hatte sich der Marktpionier zum Marktführer entwickelt und sich so als profitable Beteiligung erwiesen. Inzwischen hat OBI seinen Platz unter den Marken mit Weltgeltung eingenommen.

460 Euro für eine Weltmarke

Übrigens die Bezeichnung OBI ist keine Abkürzung. Der Firmenname geht auf die französische Aussprache des Wortes Hobby zurück, da im Französischen ein H nicht gesprochen wird. Elektrisiert von einem Bericht in einer französischen Handelsgazette über einen OBI-Baumarkt im Marseille setzte sich Manfred Maus kurzentschlossen in den Flieger und wurde mit den Branchenkollegen in Frankreich rasch handelseinig. Maus kaufte den Namen Obi für 3000 Franc umgerechnet rund 460 Euro und verzichtete auf die Expansion in Frankreich. Ein Einkauf, der sich allemal lohnte, dass mussten selbst die Revisoren von Tengelmann neidlos anerkennen. Die Markenrechte zieren heute mit einem Milliardenbetrag die Bilanz von OBI und damit auch von Tengelmann.

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