Benetton: Comeback des Capo

Ende des Jahres 2017 kehrte Luciano Benetton, der strategische Kopf der Familie, aus dem Ruhestand nach zwei verlustreichen Jahren als exekutiver Verwaltungsratspräsident an die Spitze des Aufsichtsrats zurück und verkündete die Remedur seines Lebenswerkes: United Colors of Benetton. Welche Rolle dabei Franchising spielt bleibt allerdings offen, denn nur mit einem Lieferkontrakt ausgestattet tragen die Betreiber der Shops das volle Risiko.

Die Erfolgsgeschichte begann vor mehr als einem halben Jahrhundert: Zu Beginn der 60 ziger Jahre putze Luciano Benetton als Hemdenverkäufer die Klinken der Modehändler im Norden von Italien. Der Durchbruch im hart umkämpften Modemarkt gelang aber erst mit Pullovern, die seine Schwester in Heimarbeit mit einer Strickmaschine fertigte. Die fanden reißenden Absatz und spülten das erforderliche Startkapital für das Familien-Imperium in die Kasse. Der Grundstein zum Weltunternehmen wurde 1965 im norditalienischen Örtchen Ponzano Veneto (Treviso) von den vier Geschwistern Luciano, Gilberto, Giuliana und Carlo Benetton gelegt. Dort befindet sich auch heute noch die Firmenzentrale in der „Villa Minelli“, einem liebevoll restaurierten mittelalterlichen Palazzo. Der Großteil der Büros liegt erst auf den zweiten Blick erkennbar in einem architektonisch anspruchsvollen Tiefbau mit Licht durchfluteten Dach umbettet von einem begrünten Hügel und arrondiert von einer künstlich angelegten Seenplatte. Ein wahrer Architekturpark in dem Klassik und Moderne in Harmonie vereint sind. „Architektur ist eine Leidenschaft für mich“, verriet Luciano Benetton dem Handelsblatt. Den Grundstock für seine Passion verdiente der Capo des Benetton Clans mit dem vertikalen Vertrieb seiner Trend-Mode, das einem Franchise-System ähnelt. Damals war die Bilanz noch ungetrübt: Die zweite Umsatzmilliarde in Sicht und das Shop-Netz umspannte den Globus.

In Belluno feierte Benetton Shop-Premiere

Benetton Villa

1966 eröffnete im venetianischen Städtchen Belluno der erste Benetton-Shop. Mit dem Wandeln zur Kultmarke des letzten Jahrhunderts entstand ein internationale Unternehmen: United Colors of Benetton. Und die Masche mit der bunten Maschenwaren für die Masse bescherte den Machern reichlich Mammon. Nach der „Forbes“-Liste der Milliardäre besitzt jeder einzelne des Quartetts ein Vermögen von 3,7 Milliarden US-Dollar. Das Kapital der Benettons arbeitet jedoch heute vorzugsweise abseits der Mode-Branche. Seit 1995 ist die Familie Mehrheitseigentümer des über vier Milliarden Umsatz schweren Raststätten-Giganten Autogrill zu dem hierzulande etwa Tank& Rast gehört. Italiens Maut-Autobahnen und der römische Flughafen sowie Ländereien in Argentinien komplettieren das Familien-Imperium. Die Familie ist finanziell somit fein raus. Mit dem klug angelegten Geld aus der Strickerei mit seinem anhängten Händler-Netz zogen die Benettons sogar mit der Industriellenfamilie Agnelli gleich und fanden ebenfalls ihren Platz in der Loge mit den Tycoons Italiens.

Trendmode nach zehn Tagen im Regal

Das Erfolgsrezept des Mode-Fabrikanten sollte die Branche revolutionieren: Die Ware wird in Uni vorproduziert und erst nach der Bestellung in der angesagten Modefarbe eingefärbt und gelangt so topaktuell in die Regale. Diese Geschäftsidee kam bei den Händlern und die Mode noch mehr bei den Kunden an. Zwischen der Bestellung und der Auslieferung verstreichen maximal zehn Tage. Dies garantiert ein Computernetz, das alle Shops mit dem voll automatisierten Auslieferungslager in Castrette bei Treviso verbindet. Die maximale Flexibilität in der Produktion auf High-Tech-Level kombinierten die Benettons mit dem über lange Zeit beibehaltenen archaischen System der Lohnarbeit auf Low-Level in einer Vielzahl von über 200 Kleinbetrieben in der Region. Parallel dazu bauten sie die eigne Fabrikation auf mit Werken in Italien, Frankreich und Schottland.

Die ersten Benetton-Shops in der von Touristen aus aller Welt stark frequentierten Region wie etwa im Skiparadies Cortina in der Provinz Belluno lieferten die Blaupause für das dann landesweit ausgerollte Shop-System. Bald prägte die junge Marke das Bild aller Einkaufsmeilen zwischen Mailand und Palermo. Vier Jahre nach dem Start eröffnete bereits die erste ausländische Filiale: im Mode-Mekka Paris. Nach der Eroberung des alten Kontinents folgte der Sprung über den großen Teich nach Amerika. Die erste Filiale auf der Madison Avenue weckte 1980 das Interesse der New Yorker. Und zwei Jahre drauf startete Benetton schließlich in Tokio. Von da an ging im Reich der bunten Pullover die Sonne nicht mehr unter. Im Jahr 1984 umfasste das Ladennetz 2.300 „Franchising-Geschäfte“, wie der Welt-Korrespondent Günther Depas aus Mailand berichtete. In den nächsten Dekaden kannten die Benettons weder in der Werbung Geschmacks- noch im Vertrieb Wachstumsgrenzen. Von der „Benettonisierung“ der Einkaufsmeilen war nun immer öfter die Rede. Die Zahlen sprachen dafür.

Schrumpfkur von 7.000 auf 5.000 Shops

Benetton Shop

Weltweit zählte Benetton in der Spitze über 7.000 Läden – durchweg in den angesagten Hot Spots der Cities lokalisiert und überwiegend betrieben von selbständigen Händlern. Deren Performance ging primär von der Kernleistung des Fabrikanten Benetton ab: Ware und Werbung. Hinzu kam das durchgängige Shop-Design im grünen Look. Die geschäftliche Basis fixierte indessen kein Franchise-Vertrag sondern lediglich eine Liefervereinbarung. Knickte der Absatz, blieben die Händler auf der Ware sitzen. Bei Ladenhütern, die den aktuellen Modetrend verfehlten, und bei anderen wirtschaftlichen Rückschlägen waren die Quasi-Franchisenehmer somit vom Goodwill der mit einem Handelsvertreter-Vertrag ausgestatteten Repräsentanten von Benetton abhängig. Das ging in der Masse nicht immer gut aus. So meldet Benetton derzeit nur noch 5.000 Shops in 120 Ländern. Das Shop-Sterben grassiert und das Absatzbein des Fabrikanten humpelt. Allein in den USA sei nur noch ein Bruchteil von einst 800 Läden übrig. Die Zukunft sei auch nicht farbenfroh, erkundete das „Manager Magazin“ und resümiert: „Benetton wird weitere Läden schließen müssen”.

Ob es mit einem lupenreinen Franchise-System besser gelaufen wäre, sei dahin gestellt. Warum Luciano Benetton jedoch auf einen glasklar mit Rechten und Pflichten beiderseits formulierten Franchisevertrag verzichtete, vertraute er einst im Interview dem impulse-Redakteur Knut Pauli an: „Ich möchte nicht die Verantwortung für das wirtschaftliche Risiko meiner Handelspartner tragen“. Sic. Trotz diesem unmissverständlichen Bekenntnis war in den Gazetten weiterhin vom „Erfolg mit Franchising-Geschäften“ die Rede. Ein Irrtum, der viele Partner trotzdem zu Millionären machte, jedoch anderen viel Geld kostete. An der Erfolgsgeschichte – soweit – ändert dies kein Jota. Doch der billigend in Kauf genommene Etikettenschwindel bleibt im Gedächtnis haften.

Provokante Werbung vor dem Bundesgerichtshof

Werblich setzt Benetton ebenfalls mit Kalkül auf Provokation. Der Fotograf Oliviero Toscani konzipierte eine einst revolutionäre Kampagne. Mit den von ihm ins Bild gesetzten sozialkritischen Themen – Krieg, Krankheit, Diskriminierung, Rassismus – stieg zwar der Bekanntheitsgrad der Marke sprunghaft, doch das Image blieb dabei auf der Strecke, der erhoffte Absatz-Schub nach dem Bilder-Schock blieb aus. Nach Jahrzehnten der Kunden im Kaufrausch entdeckten selbst alte Benetton-Fans neue In-Marken. Umso lauter mokierten sich die sogenannten Franchisenehmer über die Werbung zur Ware. Denn Toscani´s umstrittene Motivwahl, etwa das blutige Hemd mit dem Einschussloch eines im Bosnienkrieg gefallenen Soldaten oder ein Aidskranker auf dem Sterbebett, sorgten bis zum Millennium immer wieder für negative Schlagzeilen und bemühten schließlich sogar die Gerichte. So klagten hierzulande die Franchisenehmer und obsiegten vor dem Bundesgerichtshof, da die umstrittenen Motive ihrer Meinung nach Löcher in die Kassen rissen. Trotz der roten Karte von den Richtern in der roten Robe blieb Benetton der Schockwerbung treu. Noch 2011 zog die Benetton Group erst nach Protesten der höchsten christlichen Instanz, dem Vatikan, eine Fotomontage zurück, in denen eine Kussszene zwischen Papst Benedikt XVI. und dem Imam Ahmed al-Tajjeb zu sehen war.

Mit Weltmeister Schuhmacher zur Weltmarke

Keine Kritik, aber umso mehr Lorbeeren sammelte Luciano Benetton mit seinem Engagement im Motorsport. 1983 engagierte er sich in der Formel 1 als Sponsor und gründete später den eigenen Rennstall Benetton Formula Limited. Der Außenseiter schaffte es auch in der sportlichen Disziplin an die Spitze. Das Benetton-Team gewann 1994 mit Michael Schumacher am Lenkrad eines Benetton-Ford B194 die Fahrerweltmeisterschaft und stellte im Jahr darauf den Sieger in der Fahrer- und in der Team-Wertung. Schumachers Benetton–Ära währte von 1991 bis 1995, und katapultierte ihn für alle Zeiten in den Fahrer-Olymp. Im Jahr 2000 hatte aber auch Luciano Benetton so wie Nicki Lauda keine Lust mehr im Kreis zu fahren beziehungsweise fahren zu lassen und verkauften seinen Rennstall an Renault. Nach dem Abschied von den teuren Boliden-Rennen, der die Marke endgültig zum globalen Star avancieren ließ, zog sich die Gründer -Generation 2003 aus der Unternehmensführung zurück, und 2008 reichte Luciano Benetton seinen Abschied als Vorsitzender des Verwaltungsrates nach. Das Kommando im damals noch bestens brummenden Mode-Konzern sollte die nachrückende Generation übernehmen. Soweit der Plan, es sollte aber anders kommen.

Nach dem Abschied aus der Formel eins begann der Abstieg

Heute steckt der Konzern tief in der Krise. Luciano Benetton hatte die Geschäftsführung an seinen Sohn Alessandro (Jahrgang 1964) übergeben. Der holte nach dem Vorbild anderer Familienunternehmen externe Manager hinzu, aber offenbar ohne Fortune. Der Hoffnungsträger Alessandro Benetton hielt sich nur zwei Jahre an der Spitze, dann löste ihn der Italiener Marco Airoldi ab, der zuvor bei der Unternehmensberatung Boston Consulting tätig war. Der Konzernumsatz schrumpfte derweil zwischen 2011 bis 2016 von zwei Milliarden Euro auf 1,3 Milliarden Euro. Um die 100 Millionen Euro Verlust soll das Unternehmen allein im vorigen Jahr eingefahren haben. Die kommen auf einen ohnehin schon ansehnlichen Schuldenberg noch obenauf. Die Ursachenforschung für den Umsatzrückgang warf ein fahles Licht auf das bisherige Management, denn nicht die Pseudo-Franchisenehmer sondern „die eigenen Stores in Italien, Frankreich, Deutschland, Polen und in der Türkei schnitten schlecht ab “, so Benetton. Dank ihres Finanzpolster können die Benettons die Verluste sicherlich noch einige Zeit verkraften, denn der Textilanteil schrumpfte auf sieben Prozent des Gesamtumsatzes der Holding Edizione srl, die zu 100 Prozent die Anteile an Benetton und den Beteiligungen der Familie hält. Doch dem als exekutiver Verwaltungsratspräsident zurückgekehrten Capo geht es längst nicht mehr ums Geld allein, sondern vielmehr um seine weiße Weste als Shootingstar in der italienischen Wirtschaftselite und den Ruhm des erfolgsverwöhnten Familienclans.

Aquädukt ohne Wasser

Es handelt sich also um eine Frage der Ehre. Darum will der topfitte 83-jährige Firmengründer nun mit all seiner Macht der in die Jahre gekommenen Mode-Ikone neuen Glanz verleihen. Denn der Niedergang fuchst den immer noch dynamischen Beau und eröffnete der italienischen Zeitung „La Repubblica“ die bittere Wahrheit: „Im Jahr 2008 habe ich das Unternehmen mit 155 Millionen Euro Vermögen verlassen, und nun nehme ich es mit 81 Millionen Euro Schulden zurück“. Das Minus seiner Firma bereite ihm “unerträglichen Schmerz”. Die Verluste, die Benetton heute schreibt, lastet der Gründer seiner Familie an: “Wir allein haben die Schuld”, sagte er. “Andere haben uns imitiert, die ‘United Colors’ haben ihre Farbe verloren.” Die Läden seien dunkel und schäbig geworden, “wie im kommunistischen Polen”. Die “schlimmste Sünde” sei gewesen, keine Pullover mehr anzubieten: “Das ist, als ob man einem Aquädukt das Wasser nimmt.” Was die Optik in den Läden angeht, hätte ein Franchise-Vertrag sicherlich für den notwendigen Nachdruck gesorgt, dass die Marke wirklich glänzt. Diesen Zugriff auf die Umsetzung in einem Quasi-Franchise-System hat der Lieferant von Ware und Werbung jedoch nicht, dazu bedürfte es einer professionellen Franchise-Zentrale mit allen Instrumenten der Systemsteuerung bis hin zu einem Solidar-Fonds für notleidende Partner.

Zurück in die Zukunft

Nur der über die Jahre angesammelte Schatz an profitablen Zukäufe und Beteiligungen hielt die Benetton-Gruppe über Wasser, schrieben italienische Medien. Der Textilanteil an der gesamten Unternehmensgruppe macht heute gerade noch acht Prozent vom Gesamtumsatz aus. Man kann sich bei dieser Relation die Verluste also durchaus leisten. Aber es schmerzt wohl dennoch mächtig. Deshalb zog Luciano Benetton die abrupt die Notbremse und krempelt den Konzern um nach dem Science-Fiction-Filmtitel: „Zurück in die Zukunft“. Um auf den alten Erfolgskurs zurückzufinden, engagierte Benetton für die neueste Werbekampagne wieder Oliviero Toscani, der Mann, der der Marke ihr Gesicht gab. Keine große Überraschung dürfte somit sein, dass der Hausfotograf seinem Stil der Schockwerbung treu bleibt und erneut vorsätzlich irritierende Situationen in Szene setzt. Weggucken sei erlaubt, Kaufen erwünscht. Sicher ist: Das letzte Kapitel in der sagenhaften Benetton-Story ist noch längst nicht geschrieben.

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