Der gesellschaftliche Ruck zu mehr Selbständigkeit in Deutschland lässt weiterhin auf sich warten. Ungebremst ist hingegen der Trend zur Selbständigkeit von Migranten als Startbrett im Franchising, wie auch das Ehepaar Anil und Tanya Balci, Erfinder von Cloud Kitchen.
Existenzgründer aus Fernost
„Gesamtwirtschaftlich gab es 2023 kaum Impulse für Existenzgründungen. Sowohl Konjunktur als auch Arbeitsmarkt stagnierten und haben die Gründungstätigkeit weder besonders befördert noch belastet. Unterm Strich ergibt sich ein kleines Plus bei der Zahl der Gründungen. Für das laufende Jahr ist vom makroökonomischen Umfeld weiter wenig Rückenwind zu erwarten.
Zusammen mit einer deutlich gesunkenen Zahl an Gründungsplanungen im vergangenen Jahr dürfte dies leider wieder für einen Rückgang der Gründungstätigkeit 2024 sorgen. Jährlich werden etwa doppelt so viele Gründungspläne abgebrochen, wie Gründungen realisiert werden“, kommentiert die Chefvolkswirtin Dr. Fritzi Köhler-Geib die Situation im Gründerland Deutschland, auf dem sich vielfach auch die Franchise-Geber tummeln und auf Leads hoffen. Denn mit einem erprobten Geschäftsmodell lässt sich durchaus Staat machen, vorausgesetzt, die die nachrückende Generation sieht in ihrer Work-Life-Balance auch den Traum vomeigenen Chefsessel vor.
Die harten Fakten der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), die sich schon seit den 90ziger Jahren um Franchising kümmert, raubt jedoch selbst Optimisten jede Illusion. Danach hat die Gründungstätigkeit in Deutschland im Jahr 2023 zwar leicht zugelegt, wie der KfW-Gründungsmonitor zeigt. So sei Zahl der Existenzgründungen auf 568.000 gestiegen (+3 %). Allerdings ging dabei die Zahl an Gründungen im Vollerwerb auf 205.000 zurück (-8 %), während es im Nebenerwerb mit 363.000 wieder mehr Gründungen gab (+11 %). Fazit: „Insgesamt fehlte der Gründungstätigkeit 2023 jedoch der entscheidende Impuls. Die Prognosen für Konjunktur und Arbeitsmarkt lassen ähnlich schwache Impulse im laufenden Jahr 2024 erwarten.“ Ob die vom Deutschen Franchiseverband(DFV) unlängst angekündigte Kampagne mit dem Slogan „Franchise. Unser Erfolg hat System.“ potenzielle Gründer elektrisiert oder schlichtweg sich nur die Franchise-Community selbst beweihräuchert, mag der geneigte Leser der Botschaft selbst entscheiden.
Migranten sind überdurchschnittlich gründungsaktiv
Hoffnungsträger sind und bleiben indes die Migranten. Laut dem “Global Entrepreneurship Monitor” (GEM), den das RKW Kompetenzzentrum zusammen mit der Leibniz Universität Hannover herausgibt, zeigt ein deutschlandweiter Trend, dass etwa jeder fünfte Mensch mit Migrationsgeschichte in den letzten drei Jahren ein eigenes Unternehmen gegründet oder Schritte dazu unternommen hat – ein beeindruckender Anstieg im Vergleich zu 2020. Die sogenannte Gründungsquote bei Migranten (19,9 Prozent) ist damit mehr als doppelt so hoch wie bei Menschen ohne Einwanderungsgeschichte (8,3 Prozent).
Wie eine Sonderauswertung des KfW-Gründungsmonitors 2018 erstmals zeigte, geben 38 % der Migranten grundsätzlich der Selbstständigkeit den Vorzug vor abhängiger Beschäftigung. In der gesamten Bevölkerung wären nur 29 % lieber selbstständig als angestellt. Ein wichtiger Faktor für diesen Unterschied ist, dass viele Migranten durch eine größere Risikofreude und mehr unternehmerische Vorbilder aus ihrer Herkunftskultur geprägt sind. Ausländer und Eingebürgerte machen in Deutschland einen Bevölkerungsanteil von 18 % aus. 21 % aller Existenzgründungen in der Bundesrepublik werden derzeit von Migranten realisiert. Die Gründerquote der Menschen mit Migrationshintergrund liegt mit 1,77 % dementsprechend über dem Durchschnittswert von 1,6 %. Menschen mit Migrationshintergrund, die sich selbstständig machen wollen, tun dies in Deutschland nicht nur öfter, sondern auch selbstbewusster als der Schnitt. So starten 47 % der Migranten ihre Selbstständigkeit im Vollerwerb, während die Gesamtquote von allen Existenzgründungen hier bei 42 % liegt. Auch investieren eingebürgerte und ausländische Gründer 3,2 Wochenstunden mehr in ihr Projekt als der Durchschnitt.
Jahrhundertbeispiele wie BioNTech mit dem Gründer-Paar Özlem Türeci und Ugur Sahin haben einen wahnsinnigen Effekt und strahlen auf viele Menschen mit Migrationsgeschichte können aber ernsthaft nicht als Maßstab gelten. Auch für den Normalo-Gründer mit Wurzeln im Ausland wchsen die Bäume nicht in den Himmel. Bei vermehrter Gründungsaktivität in Reihen der Migranten ist die Abbruchquote laut KfW überdurchschnittlich hoch: Während 22 % aller Existenzgründer in Deutschland ihr Vorhaben innerhalb der ersten beiden Jahre abbrechen, liegt der Wert bei Ausländern und Eingebürgerten bei 30 %. Ein schwacher Trost angesichts der gesamtwirtschaftlichen Misere Doch die Realität sieht meist bescheidener, aber dank Franchising oftmals solide aus.
Von Kabul nach Kassel
Wie erfolgreich insbesondere Franchise-Partner mit Migrationshintergrund tatsächlich sind, belegen zwei Beispiele aus dem Paria-Staat Afghanistan. Seit 2014 inspiziert Prüfingenieur Hamed Raoufi (Jahrgang 1981) auf der Mündener Straße in Kassel als Franchisenehmer des zum TÜV Rheinland zählenden Franchise-System FSP Fahrzeuge, die zur aller zwei Jahre fälligen Hauptuntersuchung (HU) vorrollen, ob ihrer technische Zuverlässigkeit: vom PKW bis zum Traktor, vom Motorrad bis zum Dreieinhalb-Tonnen-Lkw. Stufe für Stufe.
Sein Weg vom Auszubildenden zum selbständigen Unternehmer im Verbund der FSP begann 2009. Nach dem Abschluss seines Maschinenbau-Studiums an der Universität Kassel, das er in der Regelstudienzeit von acht Semestern absolvierte, schloss er eine neunmonatige Qualifizierung zum Prüfingenieur in der FSP-Akademie im brandenburgischen Geltow an. Im Anschluss arbeitete er ein Jahr lang als Angestellter. Sodann folgte der „Sprung ins kalte Wasser“. Zunächst für einen Monat übernahm er die Leitung einer verwaisten Prüfstelle in Limburg. Am Ende waren es vier Monate, bis sich die Gelegenheit bot, zurück nach Kassel zu kommen, und als Chef eine eigene Prüfstelle zu starten. Dabei ging er schrittweise vor, wie Hamed Raoufi berichtet: „Zunächst habe ich freie Werkstätten akquiriert, nachdem ich dann einige von denen hatte, und auch teilweise in der kleineren Prüfstelle in der Zentgrafenstrasse arbeiten durfte, konnte ich mit guten Gewissen in die Selbstständigkeit wechseln.“ Das komplette technische Equipment inklusive Abgasgeräte, Laptop, Drucker, Prüfpapier, Messlehren etc. oder Druckluftprüfer(Manometer) stellte ihm FSP zu Verfügung.
Geboren wurde Hamed Raoufi in Kabul, der Hauptstadt von Afghanistan. Ein Onkel arbeitete damals bei der dortigen VW-Niederlassung und erhielt ein Jobangebot für Kassel, wo sich damals das „Leitwerk“ für den Getriebebau aller Marken des Volkswagen-Konzerns befindet. Nach dem Einmarsch der Russen in seinem Heimatland folgten seine Eltern mit dem dreijährigen Hamed und seinem Bruder dem Onkel nach Kassel. In Deutschland aufgewachsen und seit 2006 mit einer Afghanin verheiratet, ist er in seiner neuen hessischen Heimat beruflich und privat glücklich geworden.
Aus Kandahar nach Ingelheim
Das Licht der Welt erblickte Yama Osmani (Jahrgang 1978) gleichfalls in einem bis heute politisch unruhigen Land – Afghanistan. Der in Kandahar Geborene wuchs in Kabul auf. Nach dem Rückzug der Russen aus seinem Heimatland 1989 wagten seine Eltern den Neuanfang in Deutschland und legten so die Basis für die Ausbildung und Karriere ihres Sohnes in und mit dem Franchise-System von PLANA in der Küchenbranche.
„Es war ein Traumsommer 2018 und eigentlich herrschte saure Gurkenzeit im Handel, doch unser Eröffnungstermin stand und die ersten Kunden kamen prompt“, erinnert der Gründer an den Eröffnungstag. Von Beginn an stellte er seine unternehmerische Qualität unter Beweis. Das Rüstzeug dafür hatte ihm sein Mentor, Oktay Kizil, zugesprochen. Motiviert von diesem PLANA-Partner aus Weiterstadt bei Darmstadt fand der Jungunternehmer schließlich den Absprung in die Selbständigkeit. Zuvor war er zehn Jahre lang als „Vertriebler“ für PLANA Küchenland tätig. Sein interner Karriereweg führte ihn von den etablierten Küchenstudios in Koblenz nach Würselen bei Aachen, dann nach Köln und letztlich nach Weiterstadt. Die Küchenplanung und Kundenbetreuung stand während der Lern-Dekade im Mittelpunkt seines Wirkens.
Die theoretischen Grundlagen hatte sich der gelernte Einzelhandelskaufmann durch emsiges Lernen beigebracht. Auf seine Lehre bei den Real-Märkten von Metro folgte das Fachabitur und vier Semester Betriebswirtschaft (BWL) an einer Fachhochschule. Parallel dazu jobbte er in der Gastronomie und schloss die Ausbildung zum „Vertriebswirt“ an einer Privatschule in Koblenz erfolgreich ab. Hier lernte er das kleine und das große Einmaleins im Innen und im Außendienst. So qualifiziert stieg er 2008 beim Küchen-Franchisesystem PLANA in Böblingen ein und letztlich auf.
Sein Küchenstudio befindet sich in Ingelheim, keine zehn Kilometer von der Kapitale Mainz entfernt. In der Nachbarschaft liegt ein Real-Markt, der bislang zur METRO-Gruppe gehörte, flankiert von einem knappen Dutzend an Fachgeschäften wie Deichmann oder Baby One. An der hohen Kundenfrequenz auf der Einkaufsmeile der 35.000 Einwohner zählenden Kommune partizipiert auch das repräsentative Küchenstudio mit seinen elf Musterküchen auf einer Ausstellungsfläche von 380 Quadratmetern
Migranten wagen immer häufiger den Sprung in die Selbständigkeit. Der Trend wird auch bei BackWerk deutlich. Jeder fünfte Franchise-Partner des einstigen Start-ups und heutigen Profitcenter von VALORA hat einen Migrationshintergrund. Zum Beispiel die gebürtige Türkin Ilknur Özdemir (Jahrgang 1963), sie lebt seit 60 Jahren in Deutschland und fühlt sich hier heimisch. Mit eigenen Geschäften, einem im Bahnhof und dem zweiten auf einer beliebten Einkaufsstraße in Singen, verwirklichte sie sich gemeinsam mit ihrem Mann Aziz den Traum von einer sicheren Existenz. Beide kennen sich seit Kindesbeinen aus Izmir, bevor ihre Eltern sich entschieden, auszuwandern. Als 2004 im rund 30 Kilometer entfernten Konstanz eine BackWerk-Filiale eröffnet, wird das Interesse der zweifachen Mutter an dem Pionier der SB-Bäckereien schlagartig geweckt. „Das Geschäftsmodell hat mich einfach fasziniert – von der Selbstbedienung bis zu den laufend frisch gebackenen Waren.“ Dass dabei der Wechsel von der bis dahin betriebenen Gastronomie in das SB-Bäckereigeschäft so reibungslos verlief, liegt an der wirksamen Förderung durch den Franchise-Geber. Die Tatsache, dass Ilknur Özdemir inzwischen weitere Filialen betreibt spricht für das System Franchising.
Migranten bilden das Fundament
Ein Fünftel der Franchise-Filialen wird von Migranten betrieben. Dabei bilden die türkischstämmigen Existenzgründer die größte Gruppe. Gleich zwölf der 40 Partner mit Migrationshintergrund stammen aus der Türkei und betreiben bereits 15 Backwerke. Fünf Partner aus dem Iran sind mit sieben BackWerken tätig. Die übrigen Franchise-Nehmer mit ausländischen Wurzeln rekrutieren sich aus insgesamt 20 Nationen. Von Algerien über Weißrussland bis nach Südkorea spannt sich der globale Bogen der Partner.
Vor dem Sprung ins kalte Wasser zögern Ausländerinnen weit weniger als ihre deutschstämmigen Mitbürgerinnen. Migrantinnen gründen zwar häufiger, müssen dafür aber mehr kämpfen. Zu diesem Ergebnis gelangte jüngst das Institut für Mittelstandsforschung (IfM) an der Universität Mannheim. Danach liegt die Gründungsquote der Frauen mit Migrationshintergrund fast dreimal so hoch wie die der deutschen Frauen. Dabei erhoffen sich die Neubürger vor allem ein besseres Einkommen und soziale Anerkennung. Unabhängig von ihrer Herkunft bevorzugen sie den Dienstleistungssektor. Osteuropäische Einwanderer sind meist im Gesundheitswesen und Frauen aus Italien im Gastgewerbe selbständig.
Den großen Stolperstein auf dem Weg zum eigenen Geschäft stellt dabei wie im Mittelstand unisono die Finanzierung dar. Migranten nutzen laut KfW-Gründungsmonitor für ihre Existenzgründung in 31 % der Fälle staatliche Fördermittel. Der Durchschnittswert liegt hier bei 38 %. Häufiger greifen Gründer mit Migrationshintergrund auf Dispositionskredite zurück (29 % gegenüber 16 %).
Im Kontrast dazu stehen die Erfahrungen bei BackWerk. Alle Partner mit Migrationshintergrund bekamen ohne größere Probleme ihre Finanzierung durch. „Vor dem Gang zu meiner Hausbank wurde ich intensiv trainiert“, erinnert sich Ecevit Özbozoglu. „Gemeinsam wurde ein detaillierter Businessplan erarbeitet, der auf Anhieb den Banker überzeugte.“ Im Jahr 2006 eröffnete er in Osnabrück.
„Ich bin beim Lesen einer Fachzeitschrift auf das Franchise-System von aufmerksam geworden“, erzählt der gelernte Groß- und Einzelhandelskaufmann. „Das Geschäftsmodell und die fairen Konditionen beim Einstieg in die Branche haben mich sofort überzeugt.“
Glücklich im Ländle
Der Zusammenhalt der heimisch gewordenen Ausländer ist verglichen mit ihren deutschen Landsleuten hoch. So geben sie auch in der zweiten Generation in Deutschland ihre positiven Erfahrungen freizügig an ihre landsmannschaftlich verbundenen Bekannten und Verwandten weiter. Dies zeigt das Beispiel von Yavuz Özmen, dessen Eltern gleichfalls aus der Türkei stammen. Der 1978 in Bad Oeynhausen bei Bielefeld geborene Diplom-Wirtschaftsingenieur wurde durch seine Geschäftspartner Ecevit Özbozoglu auf BackWerk aufmerksam. „Ich habe sofort bemerkt, dass bei diesem System sehr viel Wert auf eine gute und langfristige Zusammenarbeit gelegt wird“, unterstreicht der Familienvater. Seine Markt- und Wettbewerbsposition in Recklinghausen und Osnabrück schätzt Yavuz Özmen als „sehr gut“ ein. „Mit der bisherigen Geschäftsentwicklung in den vergangenen fünf Jahren bin ich mehr als zufrieden“, sagt er und plant die weitere Expansion. Gemeinsam mit seinem Landsmann eröffnete er alsbald ein drittes BackWerk in Delmenhorst.
Dynamisch ging auch die Internationalisierung voran. Im Nu wurden die Niederlande, Österreich, die Schweiz, Slowenien, Rumänien und Bulgarien erschlossen. „Das Netzwerk unserer vielen Migranten schafften wertvolle Kontakte in den fremden Märkten. So bietet sich auf diese Weise dem einen oder anderen Franchise-Partner mit ausländischen Wurzeln die Chance, seine Verwandten in der Heimat auf BackWerk aufmerksam zu machen“, vermerkte der damalige Geschäftsführer Dr. Dirk Schneider.
Die Mehrzahl der erfolgreichen Franchise-Partner hierzulande zieht die Übersiedlung in ihre Heimatländer offensichtlich nicht in ihre Lebensplanung ein. Über eine Rückkehr in das Land ihrer Eltern denkt beispielsweise Ilknur Özdemir nicht im Traum nach. „Ich fühle mich mit meiner Familie sehr wohl im Ländle“.