TUI am Tropf von Vater Staat

TUI-Chef Friedrich Jussen

Der weltweitführende Reiseveranstalter mit dem größten Franchise-System in der Tourismusbranche verpasst bislang in der Corona-Krise die Wende und erbat als systemrelevanter Betrieb einen zweiten Kfw-Kredit, statt seine Investoren zu bitten.

TUI AG und Bundesregierung vereinbaren zusätzliches Stabilisierungspaket über 1,2 Milliarden Euro“, verkündet der Touristikriese aus Hannover am 12. August lapidar.„Das zusätzliche Stabilisierungspaket erlaubt uns, den Fokus auf das operative Geschäft zu legen und gleichzeitig die Neuausrichtung des Konzerns voranzutreiben“, lobt sich der Vorstandsvorsitzende Fritz Joussen und erläutert: „Bereits vor der Pandemie hatten wir die nächste Transformation der TUI eingeleitet: den Wandel zu einem digitalen Plattformunternehmen. Dieser Wandel wird jetzt deutlich beschleunigt. Unser integriertes Geschäftsmodell ist intakt. Der Sommerurlaub findet in allen Märkten wieder statt. Wir haben rechtzeitig massive Kostensenkungen eingeleitet und diese schnell und konsequent umgesetzt.“ Mit dem KfW-Kredit ist die Kasse einstweilen wieder gut gefüllt. Erst Ende März gab die Bundesregierung grünes Licht für einen Überbrückungskredit von 1,8 Milliarden Euro. Damals entfuhr dem TUI-Boss ein spontanes Lob: „Dank an Regierung, Parlament und KfW für schnelles Handeln“. Denn das erste KfW-Darlehen ist mit Bedingungen verbunden, unter anderem darf die TUI während der Laufzeit keine Dividenden zahlen und es gelten Einschränkungen für Aktienrückkäufe. Die Stabilisierungsmaßnahme sieht weitere Beschränkungen vor, beispielsweise bei Investitionen in andere Unternehmen und bei der Vergütung der Vorstandsmitglieder, solange der WSF investiert bleibt. Der zusätzliche KfW-Kredit steht zudem unter dem Vorbehalt, dass die Inhaber der im Oktober 2021 fälligen Anleihe auf eine zukünftige Begrenzung der Verschuldung der TUI verzichten.

Im Jahr zuvor war die Welt nicht nur an der Leine noch in Ordnung. Der Reisekonzern verzeichnete im Geschäftsjahr 2019 einen Umsatz von rund 19 Milliarden Euro und ein operatives Ergebnis von 893 Millionen Euro. Der Konzern beschäftigt weltweit mehr als 70.000 Mitarbeiter. TUI bietet für seine 28 Millionen Kunden, davon 21 Millionen in den europäischen Landesgesellschaften, integrierte Services aus einer Hand und bildet die gesamte touristische Wertschöpfungskette unter einem Dach ab. Dazu gehören über 400 Hotels und Resorts mit Premium-Marken wie RIU, TUI Blue und Robinson und 18 Kreuzfahrtschiffe, von der MS Europa und der MS Europa 2 in der Luxusklasse und Expeditionsschiffen bis zur Mein Schiff-Flotte der TUI Cruises und Kreuzfahrtschiffen bei Marella Cruises in England. Zum Konzern zählen außerdem europaweit führende Veranstaltermarken, fünf Fluggesellschaften mit 150 modernen Mittel- und Langstrecken-Flugzeugen und 1.600 Reisebüros.

Über 1.000 Franchisenehmer bangen

Zum Franchisebereich der TUI Deutschland GmbH gehören rund 1.070 Franchise- und Kooperationspartner. Damit ist die TUI Deutschland Heimat der größten Reisebüro-Franchise-Organisation hierzulande, in der die Aktivitäten der stationären Reisebüros des Eigenvertriebs der TUI gebündelt sind und die unter den Marken TUI ReiseCenter, Hapag-Lloyd Reisebüro, FIRST REISEBÜRO und FIRST Business Travel auftretenDas klassische Franchise-System, das sich anfangs aus schon bestehenden Reisebüros rekrutierte, wurde ab 2012 zu einem Betreibermodell fortentwickelt. Wobei TUI die Standorte auswählt und die Mietverhandlungen führt. Von da an rücken Existenzgründer in den Fokus, die unter der Marke TUI agieren, worauf zukünftige „TUI mein Shop“-Partner mit einem eigens entwickelten, mehrstufigen Schulungs- und Qualifikationsprogramm vorbereitet werden. Dies beinhaltet neben Systemschulungen auch ein Gründer-Coaching, in dem alle notwendigen rechtlichen und betriebswirtschaftlichen Grundlagen vermittelt werden. „Erfolgsfaktor dieses weiterentwickelten Betreibermodells ist das Schaffen einer echten Win-Win-Situation. Der Betreiber kümmert sich allein um das, was Wert schöpft: Verkauf, lokales Marketing und Kundenbeziehungsmanagement. Den Rest macht die TUI“, erklärt André Repschinski, Franchise-Manager bei TUI. Aktuell herrscht Flaute und etliche Franchisenehmer wackeln.

100.000 Arbeitsplätze in Gefahr

Vielen Reisebüros droht in der Corona-Krise ohnehin die Insolvenz. 100.000 Arbeitsplätze stehen in der Branche auf dem Spiel. Dass ausgerechnet der TUI-Konzern mit deutschlandweit rund 10.000 Mitarbeitern einen Milliardenkredit bekommt, die kleineren Betriebe mit insgesamt weitaus mehr Beschäftigten aber viele Wochen lang auf ein eigenes Hilfspaket warten mussten, könnte nach Recherchen des ARD-Politmagazins report München an einem Versäumnis der Bundesregierung liegen: Sie hat keine ausreichende rechtliche Grundlage für die Absicherung von Kundengeldern durch Reiseveranstalter geschaffen. Dies ist offenbar ein Grund dafür, dass sie nun finanzielle Risiken des Konzerns übernimmt. Bei der TUI hatten Kunden Hunderte Millionen Euro für Reisen an- oder vorausbezahlt. Der Konzern hat aber nicht die volle Summe versichert, sondern lediglich 110 Millionen Euro. So sieht es das deutsche Recht vor. Bei einer Pleite der TUI, so die Folgerung von report München, könnte es deshalb dazu kommen, dass die Bundesregierung den Kunden das Geld zurückzahlen muss – und das aus Steuergeldern. Die delikaten Details des Kredit-Deals bekümmern die TUI-Investoren kaum, stattdessen nutzen sie die prekäre Situation im stillen Vertrauen auf die künftig wieder sprudelnden Profite. Das Bravourstück soll Friedrich Joussen gelingen, immerhin läuft sein Vertrag mit TUI erst 2025 aus.

Verteilung des Grundkapitals in Prozent bei TUI

Stand: Mai 2020/ gerundete Werte

* Die Unifirm Limited wird indirekt von der Familie Mordashov kontrolliert

**24,95%

***Die DH Deutsche Holdings Limited wird indirekt von Hamed El Chiaty kontrolliert.

Mallorca, Kairo oder Moskau – die weiten Welt der Investoren

Traditionell stützten den TUI-Vorstand und dessen Kurs drei spanische Anteilseigner, die von der Hotelgruppe Riu angeführt werden und zusammen in der Spitze 13 Prozent hielten.Riu Hotels & Resorts – RIUSA II, S.A. oder kurz Riu – ist eine 1953 gegründete spanische Hotelkette mit Sitz an der Platja de Palma auf Mallorca in Spanien. Geschäftsführende Teilhaber sind heute Luis Riu Güell und Carmen Riu Güell, die Enkel des Gründers. Die Gewichte unter den Kapitalgebern haben sich jedoch in jüngster Zeit stark verschoben – statt der Spanier drehen nun zwei Geldgeber aus Ägypten und Russland am Börsenrad.

TUI-Investor Unifirm Limited wird von einem Moskowiter kontrolliert und dieser Patriarch denkt und handelt langfristig. Im vergangenen Jahr hat Alexey Mordashov 65 Prozent seiner Unifirm-Beteiligung, die wiederum 24,99 Prozent der Aktien an der TUI AG hält, auf die KN-Holding übertragen. Die KN-Holding ist ein Unternehmen, das im Besitz von Kirill Mordashov und Nikita Mordashov ist, den Söhnen von Alexey Mordashov. Das US-Wirtschaftsmagazin „Forbes“ schätzt das Vermögen von Alexei Mordaschov auf 16,8 Milliarden Dollar. Das bedeutet weltweit Platz 54 und macht den Oligarchen zum viertreichsten Mann Russlands. Der Selfmade-Milliardär ist Hauptanteilseigner und Vorstandsvorsitzender des Stahl- und Bergbaukonzerns Severstal und des Goldbergbauunternehmens Nordgold. 2007 erwarb Mordaschov zunächst drei Prozent an TUI. Heute sind fast 25 Prozent der Aktiengesellschaft im Besitz der Familie. Alexey Mordashov ist Mitglied des Aufsichtsrates der TUI AG.

Ein weiterer Großinvestor stammt aus dem Land der Pharaonen. Der ägyptische Hotelier Hamed El Chiaty, dem unter anderem die Hotelkette Travco gehört, hat vier Prozent der TUI-Aktien erworben und damit die Meldeschwelle von drei Prozent überschritten. In seinem Heimatland zählt El Chiaty zu den einflussreichen Persönlichkeiten der Reisebranche und ist schon lange eng mit TUI verbunden, etwa als Chef der TUIHotelmarke Iberotel Egypt mit mehr als einem Dutzend Hotels. Chiaty lenkt als eigener Chef die Firma Travco – Travel Company of Egypt -, die nach eigenen Angaben zu den führenden Touristikunternehmen Ägyptens gehört. An einem Teil der Travco-Unternehmen ist wiederum TUI zur Hälfte beteiligt. Dazu zählen Serviceagenturen, die TUI-Urlauber betreuen.

Der Vollblutunternehmer kennt sich in der Reisebranche bestens aus und hat eine glückliche Hand bei seinen Investitionen bewiesen. Erst im vergangenen Jahr verkaufte er seine Deutsche Hospitality an eine chinesische Hotelgruppe verkauft. Den Erlös aus dem Verkauf von 720 Millionen Euro und mehrte die liquiden Mittel, um bei günstiger Gelegenheit zuzugreifen. So stockte der Ägypter seinen Anteil an der TUI Group erst Anfang März 2020 über seine Investmentgesellschaft Deutsche Holdings Limited mit Sitz in Limassol auf Zypern auf 3,4 Prozent auf. Den Ruf nach Vater Staat bei TUI nutzte der geborene Geschäftsmann offensichtlich und kaufte im April weitere Aktien kursgünstig hinzu. Nunmehr besitzt Hamed El Chiaty 5,1 Prozent am Branchenprimus in der Touristik. Und den größten Franchisegeber.

INFOS

HISTORIE: Geburt eines Giganten

Der Branchenprimus im Tourismus-Business gründet auf einem traditionellen Industrieunternehmen: Preussag AG. Die Preussag wurde 1923 als „Preußische Bergwerks- und Hütten-Aktiengesellschaft“ gegründet, wurde aber unter der Kurzform „Preussag“ bekannt. Das neue Unternehmen verwaltete die Bergwerke und Eisenhütten des Preußischen Staates in Niedersachsen, der Saar und Oberschlesien. Nach dem Zweiten Weltkrieg verlegte das Unternehmen seinen Sitz nach Hannover und wurde 1959 als erster Staatsbetrieb privatisiert. Seit dem Amtsantritt von Michael Frenzel 1994 wandelte sich die Preussag durch gezielte Zukäufe zum Tourismus-Konzern, der sich 2002 in TUI AG umbenennt. 1997 erwirbt das Unternehmen einen der führenden deutschen Touristikanbieter, Hapag-Lloyd. Ein Jahr später ergänzt der Konzern sein Portfolio mit dem Kauf der Touristik Union International GmbH & Co KG, der ab 2002 als TUI AG firmierenden neuen Reise-Riesen. 2007 fusioniert die Touristiksparte der TUI AG, mit Ausnahme des Hotel- und Kreuzfahrtgeschäftes, mit First Choice Holidays PLC, ein in Großbritannien börsennotierte Unternehmen, das 1973 gegründet wurde. So entsteht die in London börsennotierte TUI Travel PLC, an der die TUI AG 54 Prozent der Anteile hält.

Zur Person: Friedrich Joussen

Der Vorstandsvorsitzende der TUI GROUP mit Sitz in Hannover/Berlin stammt aus dem „Ruhrpott“ und kennt sich als technik-affiner Manager bestens mit dem anstehenden radikalen Digitalisierungsprozess aus. Friedrich Joussen wurde 1963 in Duisburg geboren. Er studierte Elektrotechnik an der RWTH Aachen und schloss sein Studium als Diplom-Ingenieur ab. Danach sammelte er erste Berufserfahrungen in Portland/Oregon (USA). 1988 startete er bei der Mannesmann AG und gehörte zu den Managern der ersten Stunde der neu gegründeten Mannesmann Mobilfunk GmbH. Nach der Übernahme des Mannesmann-Konzerns durch Vodafone wurde er 2001 an die Spitze des Global Product Managements der Vodafone-Gruppe im englischen Newbury berufen. 2003 kam er zurück nach Deutschland und übernahm die Funktion des Chief Operating Officer (COO) von Vodafone Deutschland. Von 2005 bis September 2012 führte er als Vorsitzender der Geschäftsführung (CEO) von Vodafone Deutschland die größte operative Gesellschaft im weltweiten Vodafone-Verbund. Sein Branchenwechsel erfolgte 2012 als Joussen in den Vorstand der TUI AG eintrat und 2013 zum Vorstandsvorsitzenden bestellt wurde. Neben seinem Spitzenjob bei TUI steht er unter anderem dem Aufsichtsrat vom Autovermieter SIXT SE vor. Sein Vertrag mit TUI läuft bis September 2025 – dann sollte Corona Historie sein.

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