Interview

10.000 Franchiser in Gefahr!

Franchise-Consultant Reinhard Wingral

Interview Reinhard Wingral

Zwischenbilanz der Coronakrise „Bis zu 10.000 Existenzen im Franchising stehen auf tönernen Füßen“

Welchen Schaden die Pandemie in der Franchise-Wirtschaft verursacht, und wie Franchisenehmer und Franchisegeber jetzt durch die Krise kommen. Dazu Fragen an Reinhard Wingral, Franchise-Consultant aus Eckernförde, der seit 1988 beim Aufbau und der Sanierung von Franchise-Systemen erfolgreich tätig ist und weit über den Tellerrand schaut.

Herr Wingral, sie begleiten die deutsche Franchisewirtschaft seit über 30 Jahren und haben manches Auf und Ab erlebt. Nun Corona. Der Lockdown, zu dem das Virus die Politiker zwang, trifft die Wirtschaft vom Autozulieferer bis zu den Zahnärzten – bildet die Franchisewirtschaft eine Ausnahme?

Wingral: Keinesfalls. Die Franchisewirtschaft entwickelt sich volkswirtschaftlich betrachtet ziemlich synchron und hat im Laufe der Jahre nahezu alle Branchen erobert. Nun bekommt sie aber auch die aktuelle Coronakrise voll zu spüren.

Der Internationale Währungsfons (IWF) rechnet mit der größten globalen Rezession seit dem Schwarzen Freitag in NY vor fast 100 Jahren. Die Wirtschaft in Deutschland soll danach um sieben Prozent schrumpfen. Wirtschaftsforscher Christoph Schmidt vom RWI Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen verweist auf die Prognose der Wirtschaftsweisen, die mit einem Rückgang von 4,2 Prozent rechnen, weniger als in der Finanzkrise 2008. Auf Sicht geht es also erst einmal bergab. Hierbei trifft es laut Schmidt deutlich mehr Dienstleistungsunternehmen und viel mehr kleinere Unternehmen – beides zusammen charakterisiert die Franchisewirtschaft.

In der Tat – von der Branchenstruktur her rangiert inzwischen der Dienstleistungssektor deutlich vor dem Einzelhandel. Danach folgen Gastronomie und Touristik, am Schluss liegt das Handwerk. Das holt aber derzeit kräftig auf, weil zur handwerklichen Leistung die nutzbringende Beratung angeboten wird, wie zum Beispiel die Erlangung öffentlicher Förderung bei barrierefreien Umbauten für Senioren oder im Zusammenhang mit energetischer Sanierung. Daran wird auch die aktuelle Krise nichts ändern.

Nach Branchen sind primär Gastronomie, Hotellerie Einzelhandel und dann erst Dienstleister vom plötzlichen Umsatzeinbruch bei weiterhin laufenden Kosten wie Miete betroffen

Das liegt doch auf der Hand. Dienstleistungen, die weder zeitlich vom Kunden nachgeholt werden können noch nach dem Corona-Spuk intensiver nachgefragt werden. Reiseticke-und Hotelbuchungen für einen bestimmten Termin, Events und Tagungen, oder auch nur einen Kneipenabend werden die Konsumenten nicht eins zu eins nachholen können, selbst wenn s es wollten. Die Idee, Gutscheine zu verteilen, verschiebt das Liquiditätsproblem nur im Kalender und im Insolvenzfall kann der Kunde sein Guthaben in der Regel komplett abschreiben.

Wie viele Franchise-Systeme stehen von den knapp 1.000, von denen etwa 300 bis 400 ein tatsächlich gut funktionierendes Geschäftsmodell lizensieren, jetzt auf der Kippe?

Von der großen Masse an systemechten wie vorgeblichen Franchise-Systemen dürften bis zu 30 Prozent nächstes Jahr nicht mehr am Markt sein. Denn viele leben von der ungezügelten Expansion und werden daher den aktuellen Stresstest nicht bestehen. Von der Schätzgröße 1.000 blieben somit 700 übrig. Beim harten Kern von soliden Franchisesystemen dürfte der Abschmelzprozess mit einer deutlich geringeren Quote von fünf Prozent zu Buche schlagen – also 15 bis 20 Franchise-Systeme.

Und bei den Franchisenehmern?

Da wackeln schätzungsweise bis zu 10.000 Existenzen, die damit verbundenen Arbeitsplätze noch nicht mitgerechnet. Bislang gab es schon viel zu viele Partner, die nicht annähernd so gut verdienen wie der eine oder andere Franchisegeber verkündet und die von daher kein finanzielles Polster aufbauen konnten. Die oft beschworene Win-Win-Situation erweist sich jetzt als Fata Morgana. – Franchising ist halt kein Allheilmittel, um unreife Geschäftsmodelle zum Laufen zu bringen.

Die staatliche Förderbank KfW springt Kleinbetrieben mit Finanzspritzen bei, die müssen aber zwischen 2017 und 2019 Gewinn gemacht haben. Nimmt man die Zahlen des Deutschen Franchise Verbandes (DFV) dann stieg in diesem Zeitraum die Anzahl der Franchisenehmer von 162.000 auf exakt! 171.824. Nach Adam Riese reden wir über 9.824 – also rund 10.000 Franchisenehmer, die dieses Kriterium in der Anlaufphase nur bedingt erfüllen – oder?

Stimmt. Bei einer soliden Finanzierung neuer Partner, die sinnvollerweise auf Grundlage einer detaillierten Planung durch einen erfahrenen und neutralen Berater erfolgen sollte, muss eine Durststrecke von einem bis eineinhalb Jahren berücksichtigt sein, sonst sind sie jetzt gekniffen und reichen erst gar nicht die Gewinnzone und schauen bei den staatlichen Zuschüssen in die Röhre. Wer aber schon mehrere Jahre tätig ist und bereits nach ein bis zwei Monaten Umsatzausfall wirtschaftlich in die Knie geht, ist entweder Franchisenehmer in einem System, das wirtschaftlich nicht zu seinen Lebensverhältnissen passt oder er hat sein bis dato verdientes Geld stets zu sorg- und planlos ausgeben.

Ich halte die finanzpolitischen Entscheidungen der Bundes- und der Landesregierungen für einen elementaren volkswirtschaftlichen Irrtum. Die kurzfristigen Liquiditätshilfen Krediterleichterungen und Lockerungen bei diversen gesetzlichen Bedingungen erzeugen sicher Sympathien in der Wählerschaft und geben ebenso vielen Betroffenen Hoffnung auf ein Happy-End.  Das ist menschlich nur zu gut verständlich. In Wirklichkeit verschiebt sich die Pleite aber in ganz vielen Fällen nur zeitlich, denn die Regeln der Betriebswirtschaft sind genauso real wie die Gesetze der Physik oder der Statik im Bauwesen. Zudem wird die bevorstehende Rezession die wirtschaftliche Erholung in die Länge ziehen und die Verschuldung des Staates durch verminderte Steuereinnahmen und die Haftung für die kränkelnden Staaten im Euroraum verschärfen. Und woher soll das Geld bei der nächsten flächendeckenden Krise kommen?

Da könnte doch die System-Zentrale aushelfen. Die Rettung eines Franchisenehmers etwa im beratungsintensiven Einzelhandel kostet schätzungsweise 0,5 Millionen Euro je Partner. In der Gastronomie veranschlagen Branchenkenner zwischen 1 bis 1,5 Millionen Euro.

Bei derart allgemeinen Zahlen bin ich sehr vorsichtig, denn die Geschäftskonzepte bilden ein zu großes Spektrum ab. Ich kann einen Gastronomiebetrieb mit zwei Millionen Investitionen und hohen operativen Betriebskosten nicht mit einem Konzept vergleichen, bei dem nur ein Bruchteil dieser Investitionen und entsprechend niedrige Betriebskosten relevant sind. Allerdings können nur die ganz großen, finanzstarken Franchisegeber solche Notsituationen stemmen und selbst die werden sich das gut überlegen, ob sie den Standort eines angeschlagenen Partners weiterführen möchten oder schließen. Über den Tag hinaus dürften sich ohnehin Standortprofile ändern. Einzelhandelskonzepte, die bisher auch in kleinere Orte expandierten, werden vermutlich künftig in deutlich größere Orte gehen, um ein tragfähiges Marktumfeld zu haben. Der Grund ist recht simpel: während der aktuellen Krise ist eine deutliche Zunahme der Online-Quote im Handel zu verzeichnen, was den Abbau der stationären Präsenz beschleunigen dürfte. Bei der Digitalisierung der Geschäftsprozesse erweist sich das Virus somit als Turbo – dieser Trend ist irreversibel und stärkt die Besten unter den Systemen.

Vielleicht nehmen die allzu Cleveren unter den Franchisegebern einen Konkurs von Partnern in Kauf, übernehmen den Standort und die Einrichtung dann zum Spottpreis und suchen einen neuen Betreiber –selbst in guten Zeiten war das ja wohl Methode bei Subway – ein negatives Vorbild?

Da dürfte der ein oder andere sicherlich draufkommen und die Gunst der Stunde für sich nutzen wollen. Nun sollte man Franchisegebern nicht generell hohe Sympathien für die Subway-Strategie unterstellen – aber ja, es wird sicher verstärkt zu Übernahmen kommen. Aber auch Standorte zum Schnäppchenpreis müssen letztlich bezahlt werden, einschließlich der Übernahme von Mietverträgen und anderer Verpflichtungen. Unabhängig davon bleibt jeweils die grundsätzliche Frage, warum der betreffende Standort überhaupt notleidend geworden ist.

Gab es in der Franchise-Historie eine vergleichbare Situation? – Stichwort Scheinselbständigkeit.

Sicherlich nicht in der aktuellen Dimension, aber ebenso abrupt. Die Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder verabschiedete 1999 im Eiltempo ein Gesetz, um die Mogelei mit den Sozialversicherungsbeiträgen zu verhindern. Damals war es eine beliebte Masche im Baugewerbe, das der Arbeitgeber und diverse Arbeitnehmer einvernehmlich ihre Arbeitsverträge kündigten und umgehend als (Schein)selbstständige Maurer, Maler oder Fliesenleger für ihren Ex-Boss weiterhin arbeiteten. Doch das Gesetz gegen Scheinselbständigkeit traf mit voller Wucht ebenfalls die Franchise-Wirtschaft und manche Insider sprachen hinfort vom „Lex Eismann“. Viele Franchisesysteme traten damals aktiv an die Clearingstelle der BfA heran und ließen prüfen, ob ihre Franchisenehmer Gefahr liefen, als Scheinselbständige bewertet zu werden – was finanziell jeweils katastrophale Folgen gehabt hätte.

In der Folge trat der Eismann-Geschäftsführer und damalige DFV-Präsident Udo Floto zurück und stellte in einer Nacht- und Nebel Aktion binnen sechs Woche alle seine Eismänner, die bis dahin auf Franchise-Basis TK-Kost an der Haustür verkauften, auf freie Handelsvertreter um. Von den rund 1.000 Eismänner zogen fast alle mit und das Unternehmen bekam so die Kurve.

Ja, Eismann war so aus dem Schneider. Von der Bildfläche des Franchise-Marktes verschwanden aber reihenweise Kurierdienste, Werbeketten wie „White Lion“ oder Solo-Selbständige im Marketing, Coaching und Training. Alle Systeme mit Partnern, die nur einen Auftraggeber nachweisen konnten, gerieten in der Bredouille.

Die Statistiker zählten 1999 rund 720 Systemen – im Jahr des Millenniums rechneten Branchenkenner mit 810 und 2001 sollten es 750 Systeme gewesen sein. Danach ergibt sich eine Delle von rund 60 ausgeschiedenen Franchise-Systemen in Konsequenz des Gesetzes?

Die Zahlen stimmen und wenn man die damaligen rechtlichen Rahmenbedingungen betrachtet, muss das offensichtlich die Konsequenz gewesen sein.

Im Franchising droht ständig der Domino-Effekt, wenn die Geschäfte der Franchisenehmer schlecht laufen und das Gebührenaufkommen proportional zur Malaise sinkt, gerät der Franchisegeber ins Wanken, kann da der Franchisegeber gegenhalten?

Kurzfristig wohl kaum, da kenne ich kein Patentrezept. Das eherne Gesetz der Betriebswirtschaft von der Kostenremanenz steht dagegen. Danach schmilzt der Fixkostenblock nicht im Gleichschritt mit einem Umsatzrückgang. Im Vorteil sind jedoch junge, noch im Aufbau befindliche Franchise-Systeme, sie können ihre Leistungspakete und den Personalstamm in den Zentralen noch schmälern und / oder über Zusatzumsätze nachdenken. Die etablierten Systeme mit angenommen 100 Partnern sind weniger flexibel, bei ihnen sprechen ohnehin die von den Franchisenehmern gewählten Beiräte ein Wörtchen mit, wenn es um Leistungsabbau oder die Festlegung von Gebühren geht.

Großunternehmen wie VALORA, AMSTRAT, oder Private Equity Firmen wie EQT können jetzt billiger einkaufen. Legt das im Stillen auf hohen Touren bereits laufende Finanz-Monopoly im Franchising jetzt nur eine kurze Pause ein?

Ich habe viel mit der Szene der Business-Angels und Beteiligungswirtschaft zu tun und höre dadurch das Gras wachsen – zum Beispiel die UBS aus der Schweiz, mit deren Beteiligungsgesellschaft ich aktuell den Franchise-Markt scanne. Insgesamt steht die Creme unter den Private Equity Firmen am Spielfeldrand und beobachtet die Szene mit Argusaugen. Franchise-Systeme, die jetzt die Coronakrise meistern und ihr Geschäftsmodell fortentwickeln mit möglichst kontaktlos zu erbringenden Leistungen passen in das Beuteschema dieser Profis. Da werden garantiert Begehrlichkeiten geweckt.

Hatten Franchisegeber wie Carsten Gerlach (Joeys Pizza Service), Dr. Dirk Schneider (BackWerk) oder Tobias Baumann (Rainbow), die erst kürzlich Kasse machten, also den nötigen Weitblick oder nur mordsmäßig Massel?

Diese Krise hat keiner vorausgesehen – obwohl Mediziner schon vor 15 Jahren in einer Enquete der Bundesregierung vor einer Pandemie in Folge der Globalisierung warnten. Das war ein Thema reif für die Schublade. Was die jüngsten Deals, der von Ihnen genannten Franchisegeber respektive eines Master-Franchisenehmers anbelangt, habe ich eine völlig neutrale Einstellung, sehe aber keinen Zusammenhang zur aktuellen Wirtschaftslage. Es steht auch niemandem zu einem Unternehmer verwehren, wenn er sein Lebenswerk vergoldet.

Wie fällt Ihre Zwischenbilanz aus: Gibt es nur Verlierer oder auch Gewinner in der Coronakrise?

Gastronomie, Hotellerie und der Einzelhandel zählen klar zu den gebeutelten Branchen. Sehr viele Insolvenzen konnten wegen der florierenden Außer-Haus-Gastronomie und dem Shopping als das Freizeitvergnügen noch verschoben werden. Die Fehler der Vergangenheit treten nun jedoch zu Tage. Doch es gibt sicherlich auch Lichtblicke. Wer jetzt auf den Kauf eines neuen Sofas verzichtet, wird das später nachholen und wer von einem eigenen Dach über den Kopf träumt wird sich mit dem Bauen Zeit lassen, aber dann halt später realisieren. Geld geht schließlich nicht verloren – es wechselt nur den Besitzer.

Für Franchise-Systeme wie BoConcept oder der Branchenprimus im Einfamilienhausbau, Town & Country, ein Hoffnungsschimmer?

Nun, das sind zwei etablierte Systeme, denen es womöglich wie den Kickern vom 1.FC Bayern geht, die spielen dann nicht mehr auf dem Niveau 4: 0, sondern vielleicht vorübergehend nur noch 2: 0. Damit will ich nur illustrieren, das starke Systeme gestärkt aus der Krise kommen und eine Umsatzdelle verkraften können.

Jede Krise bietet Unternehmern aber auch Chancen. Zählt etwa das Comeback der Autokinos, Drive-Inns als Lösung für Gastronomie und Handel dazu? Sind das zielführende Konzepte in der neu geregelten Normalität?

Unternehmer kennen keine Krise oder nehmen sie zumindest anders wahr und denken immer in Lösungen. Nehmen Sie nur den Inhaber von Trigema, Wolfgang Grupp, statt T-Shirts produziert er nun Masken. Mit dem Lockdown und Corona-Schock rücken Qualität und Nachhaltigkeit der Angebote jetzt ganz scharf in den Fokus der Kunden. An diesen Stellschrauben müssen alle Unternehmer drehen und ihre Leistungen dahingehend prüfen und eventuell nachbessern. Die Relevanz von Produkten wie Dienstleistungen wird nun von den Konsumenten auf den Prüfstand gestellt und der Konsum kritisch hinterfragt. Die Diskussion über Nachhaltigkeit vor der Krise hat nun sicher eine eigene Dynamik bekommen. Das ist ja der Stresstest für die gesamte Volkswirtschaft wie für die Franchisewirtschaft im Besonderen.

Spielt Franchising in Zukunft noch eine Rolle?

Sicherlich, das Konzept ist seit seinen Anfängen im 19. Jahrhundert ausgereift, hat zwei Weltkriege, die Weltwirtschaftskrise Ende der 20er Jahre und Epidemien überstanden, die in Bezug auf die Opferzahlen weit grausamer war als Corona. Heute verfügen sowohl die in Deutschland neu gestarteten als auch etablierten Franchise-Systeme über deutlich bessere Organisationen und beherrschen durch digitale Tools die Steuerung im partnerschaftlichen Sinn. Da wird auf Augenhöhe kommuniziert und darin liegt auch eine Stärke bei der Krisenbewältigung – das ist eine Herausforderung für alle und gemeinsam kann man das nur meistern. „Der Mensch wächst am Widerstand“ – ein uralter Slogan von Werner Kieser, Fitnessguru und Franchisegeber. Aber heute aktueller denn je.

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